Die AUFATMEN-Challenge: Ein Tag ohne Urteil
Die AUFATMEN-Challenge: Ein Tag ohne Urteil
Eine Einladung ins Trainingslager für Neuanfänge:Veränderung in kleinen Schritten angehen.
Von Martin Gundlach
Vor genau einem Jahr, an Himmelfahrt 2022, begann eine Frage an mir zu nagen: Martin, würdest du es schaffen, zwei oder drei der Live-Gottesdienste, die heute gestreamt werden, anzusehen – ohne in Gedanken irgendetwas zu kritisieren? Ohne Verbesserungsvorschläge vor dich hin zu murmeln und innerlich den Kopf zu schütteln? Es ärgerte mich schon eine ganze Weile, dass sich in mir so schnell Kritik leise oder laut breit machte.
Es wird dir doch gelingen, dich einfach ein paar Stunden daran zu freuen, dass das Wort Gottes in die Welt hinausgeht, dass gesungen wird, gebetet, gepredigt – und das auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Das ist doch gut, oder?
Ich hatte Glück: Das Christival wurde bei Bibel-TV übertragen, der Katholikentag bei den Öffentlich-Rechtlichen und jede Menge Futter in den Livestreams bei YouTube. Also hab ich einfach mal mit besten Vorsätzen zwei, drei Stunden gezappt. Bin mal zwanzig Minuten beim Katholikentag eingetaucht, dann bei den Jugendlichen vom Christival. Und zwischendurch einfach mal fröhlich durch die digitale Christenheit: freikirchliche Gottesdienste hier und eine Messe in Österreich dort.
Ehrlich gesagt: Ich war von mir selbst enttäuscht. Es fiel mir so schwer, ein paar Stunden nur auf das Gute zu sehen. Der Kritiker in mir war kaum zum Schweigen zu bringen: „Ist das Weihrauchschwenken nicht unendlich weit von unserer Wirklichkeit entfernt?“ „Ist die Bühnenshow nicht eine Performance wie jede andere?“ „Wer versteht eigentlich diese Sprache?“ „Wie echt ist das denn alles?“ …
Anstatt zu feiern, dass so viele Menschen sich einbringen und engagieren, fielen mir Dinge auf, die man „besser machen könnte“. Statt der Freude, dass Gottes Wort hierzulande in aller Freiheit verkündet werden kann, machte sich Unmut breit über die Anteile, die „nicht zeitgemäß sind“ oder „zu schwer zu verstehen“ oder auf der anderen Seite „zu stark vereinfacht“. Ich kam mir manchmal vor wie einer der beiden Alten in der Muppet Show, die oben auf dem Balkon sitzen und leise vor sich hin mäkeln. Die Älteren erinnern sich …
Erst einmal applaudieren
Also habe ich mir diese Challenge regelmäßig verschrieben. Ich nenne sie „Ein Tag ohne Urteil“, tatsächlich ist sie meistens kürzer. Sie kann an ganz unterschiedlichen Orten stattfinden: einen Nachmittag im Verlag, einen Gottesdienst lang in unserer Gemeinde in Witten, eine Hunderunde inklusive der Begegnungen, die dort stattfinden: nur das Gute sehen und meine Umgebung anfeuern, aufbauen, gut über sie denken und gut von ihr sprechen. Über die vermeintlichen Fehler ein paar Stunden lang einfach hinwegsehen. Niemanden beurteilen oder gar verurteilen.
Ich gewinne Spaß an dieser Übung. Ich merke, wie diese Zeiten mich verändern. Ich bin unterwegs in eine Richtung, die mir gefällt. Nicht ohne Rückfälle, aber ich habe das Gefühl: Die Richtung stimmt …
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich darf auch Kritik sein. Muss auch Kritik sein. Aber ich möchte die Kritik im Griff haben – und nicht umgekehrt erleben, wie sie über mich kommt. Ich möchte lernen, erst einmal das Gute zu sehen – und nicht sofort zu bewerten und mein Urteil zu fällen. Sondern erst einmal hingucken, verstehen, das Engagement wertschätzen und fröhlich applaudieren.
Leicht fiel mir dieser Applaus bei dem Gottesdienst, den unsere Jugendlichen gestaltet haben. Ich kenne die meisten der handelnden Personen von klein auf, ich mag sie und freue mich dran, dass sie so engagiert bei der Sache sind. Ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn irgendwas nicht klappt und der Redefluss mal versiegt, ein schiefer Akkord zu hören ist oder Vokabeln benutzt werden, die normalerweise im Gottesdienst nicht verwendet werden. Ich merke, was für einen Unterschied es macht, wenn da eine Beziehung ist, ein Vertrauensvorschuss für sie. Ich kenne die doch. Ich weiß, sie geben das Beste, was sie haben. Und das reicht …
Die Challenge
Ich möchte euch einladen, diesen Weg zu beschreiten. Einladen zur AUFATMEN-Challenge „Ein Tag ohne Urteil“. Oder drei Stunden ohne Urteil. Oder ein Gottesdienst ohne Urteil („Warum kommen die eigentlich zu spät, die haben doch keine kleinen Kinder mehr?“). Ein Elternsprechtag ohne Augenverdrehen über Vielredner oder Dauerschweiger. Einen Tag lang Social- Media-Kommentare, die nur positiv
sind. Eine Team-Besprechung ohne die lang eingeübten Machtspiele.
Definiert eure eigene Challenge. Die Möglichkeiten sind viele, nennt es wie ihr es wollt. Es geht nicht um naives oder einfältiges Ja-Sagen. Sondern um eine Übung, eine geistliche Übung: zunächst einmal das Gute sehen und das Gute anfeuern. Wie oft finden wir im Neuen Testament die Momente, in denen Jesus durch seinen barmherzigen Blick auf die Menschen alle Umstehenden komplett überrascht hat.
Übung geht nur mit Üben. Macht die Hürde nicht zu hoch und das Vorhaben lieber erst mal nicht zu umfangreich. Mir hat es geholfen, das Projekt auch ein bisschen spielerisch-sportlich zu sehen. Am Ende könnte es ein Neuanfang sein, weil unser Blick und unser Denken sich wirklich verändert haben.
Und ich bitte euch: Schreibt eure Erfahrungen, Erfolge und Rückschläge an uns. Eure kleinen ersten Schritte genauso wie das lebensverändernde Aha-Erlebnis.
Ich würde mich riesig freuen, in einer der nächsten Ausgaben ein paar Erfahrungsberichte zu teilen. Ich rechne fest mit euch!
Martin Gundlach ist Redaktionsleiter von AUFATMEN. Rückmeldungen aller Art gerne an info@aufatmen.de.
Ohne Urteilen – die Challenge kompakt
1. Aufgabe formulieren
(z. B. ein Mitarbeitertreffen ohne herablassenden Gedanken und inneres Augenverdrehen)
2. Zeitraum festlegen
(z. B. Mittwoch 18-20 Uhr)
3. Challenge durchführen
und sich dabei selbst beobachten
4. Danach: Welche Gedanken und Gefühle haben sich breit gemacht?
Ergebnisse z.B. in einem Heft sichern
5. Ein paar Sätze zu dieser Erfahrung…
an die AUFATMEN-Redaktion schreiben: info@aufatmen.de.
Oder mit anderen ins Gespräch dazu kommen.