Ehrenkodex – Unser Umgang miteinander am Runden Tisch

Ehrenkodex – Unser Umgang miteinander am Runden Tisch

Ulrich Eggers war zu Gast beim „Runden Tisch Österreich“ und berichtet in AUFATMEN 3-23, warum im gemeinsamen Handeln der Ausweg für theologischen Streit liegt. Hier findet ihr den gesamten Ehrencodex für das Miteinander am „Runden Tisch“.

  1. Wir glauben einander den Glauben

1.1     Wir gehen davon aus, dass jeder Teilnehmer am Runden Tisch ein echter Christ ist. Wir tun dies auch dann, wenn es zwischen manchen von uns schwerwiegende und leidenschaftlich vertretene Meinungsverschiedenheiten gibt.

1.2     Wir gestehen einander zu, Gott zu lieben, ihm und einander nach bestem Wissen und Gewissen dienen zu wollen. Wir glauben einander, dass es die Absicht eines jeden von uns ist, seine eigene Beziehung zu Jesus Christus zu vertiefen und andere zu Christus zu führen, dass wir uns alle nach dem Reich Gottes sehnen und danach, dass Gottes Wille geschieht, hier auf Erden so wie im Himmel.

1.3     Weil wir überzeugt sind, dass wir alle Kinder Gottes sind, mit aufrichtigen, biblischen Glaubensüberzeugungen, wollen wir einander kennen und verstehen lernen.

1.4     Wir stehen zueinander und bekennen uns zueinander auch in der Öffentlichkeit. Alle sollen wissen, wer unsere Freunde als Glieder ihrer jeweiligen Kirchen sind. Wir verleugnen unsere Freunde selbst dann nicht, wenn uns diese Identifikation mit ihnen schaden sollte.

1.5     Wir werden die anderen nicht als Proselyten in unsere Glaubensgemeinschaft zu ziehen versuchen oder sie anders von ihrer Herkunftskirche entfremden.

1.6     Wir sprechen anderen, mit deren Umgang wir uns leicht tun, nicht ihre echte und vollgültige Mitgliedschaft in ihrer Herkunftskirche ab (z.B.: „Wenn einer so denkt, kann er kein wirklicher Katholik sein!“).

 

  1. Einheit in der Verschiedenheit

2.1     Wir akzeptieren, dass die verschiedenen Teilnehmer am Runden Tisch unterschiedliche Prägungen, Erkenntnisse und Überzeugungen im Glauben mitbringen.

2.2     Wir schätzen deren Identifikation mit der eigenen Glaubensgemeinschaft sowie die damit einhergehenden tiefen Glaubensüberzeugungen. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass wir „Einheit in Vielfalt“ leben können.

2.3     Wenn wir Meinungsverschiedenheiten austragen, versuchen wir die Hintergründe der Unterschiede sowie der „anderen“ Glaubensüberzeugungen zu verstehen, in geschwisterlicher Liebe zu respektieren und auch schwer Annehmbares zunächst stehen zu lassen.

2.4     Wir wissen, dass unser eigenes Begreifen, Erkennen und Verstehen nur Stückwerk ist. Wir wissen, dass auch das Erkennen und Verstehen unserer Herkunftskonfession nur Stückwerk ist und dass folglich vieles in unserer eigenen Glaubensgemeinschaft unvollkommen ist.

2.5     Wir wissen, dass keine christliche Tradition frei von den Auswirkungen menschlicher Sünde ist, auch nicht unsere eigene. So ist es wahrscheinlich, dass es auch in unserer Herkunftskirche irrtümliche Auffassungen gibt. Dieses Wissen macht uns demütig und bereit diese Sünden der Kirchengeschichte zu benennen und zu bekennen.

2.6     Es ist umso wahrscheinlicher, dass die historisch gewachsenen und uns liebgewonnenen Meinungen der eigenen Herkunftskirche über die anderen christlichen Traditionen Missverständnisse, ja sogar Irrtümer enthalten.

2.7     Wir sehen und betonen in allen Begegnungen das Gemeinsame.

2.8     Wir schaffen ein Klima der Offenheit, in dem wir voreinander echt und ehrlich sein können, voneinander lernen und in unserem gegenseitigen Verständnis wachsen können.

2.9     Wir lösen uns von einem defensiven Gesprächsmuster. Wir wollen die kritischen Fragen der Brüder und Schwestern nicht länger als Angriff interpretieren, sondern als den ehrlichen Versuch zu verstehen.

 

  1. Zur Sprache und Gesprächskultur

3.1     Wir begegnen einander in jeder Gesprächssituation mit Respekt, Achtung und Wertschätzung und drücken das auch durch aktives Zuhören und in der konkreten Wahl der Worte aus.

3.2     Wir wollen die kulturelle „Sprache“ der anderen christlichen Tradition verstehen lernen, um die unterschiedlichen Bedeutungen oder Bedeutungsnuancen nicht falsch zu interpretieren.

3.3     Wir bemühen uns in jedem Gespräch, auch im theologischen Diskurs, Formulierungen zu verwenden, die der andere bestmöglich verstehen kann.

3.4     Um Missverständnisse zu vermeiden, benützen wir Kommunikationstechniken wie  „Ich-Botschaften“, das „Spiegeln“ der Aussagen des anderen und anderes mehr.

 

  1. Vom Konflikt zur Gemeinschaft

4.1     Wir glauben, dass alle an diesem Prozess mit redlichen Motiven und aufrichtiger Motivation beteiligt sind.

4.2     Wir bemühen uns um Einigung und Einheit, ohne dass dies immer auch zu einem „gemeinsamen Nenner“ führen wird.

4.3     Unsere Diskussionen über kontroverse Themen dienen in erster Linie dazu, dass wir immer besser verstehen, was die anderen glauben, und warum sie es glauben. Andere Diskussionsziele wie das Erreichen eines „gemeinsamen Nenners“ sowie der Versuch, die anderen von unserer eigenen Positionen zu überzeugen, sind nachrangig.

4.4     Wir vermeiden polemische und polarisierende Formulierungen. Diese erschweren eine faire und objektive Diskussion. Es gilt, auf apodiktische Urteile zu verzichten (z.B.: „Dein Standpunkt ist unbiblisch!“), um stattdessen vorsichtige Verbesserungsvorschläge zu machen (z.B.: „Mir scheint, dass deine Behauptung im Widerspruch zur biblischen Aussage in XYZ steht“). Anstelle einer Festlegung (z.B.: „Unsere Position ist biblisch!“) sollte besser die subjektive Beurteilung ausgesprochen werden (z.B.: „Nach unserem Verständnis entspricht das eher dem biblischen Text“).

4.5     Wir sind bereit, von den anderen etwas Neues zu lernen. Wenn wir etwas Neues erkannt haben, wollen wir das auch den anderen gegenüber eingestehen (z.B.: „Das war mir neu“). Dadurch schaffen wir ein Klima der gegenseitigen Offenheit und Lernbereitschaft.

4.6     Wenn wir glauben, der Aussage eines anderen widersprechen zu müssen, wäre es hilfreich, zuerst zu wiederholen, was dieser gesagt hat. So wollen wir sichergehen, dass wir die Aussage richtig verstanden haben: „Wenn ich dich recht verstehe, dann meinst du, dass …“. Damit vermeiden wir ein Missverständnis. Gleichzeitig ist es sehr hilfreich, jene Teile der  Aussage des anderen, denen wir zustimmen können, positiv zu unterstreichen. So vermitteln wir unseren Gesprächspartnern, dass wir ernsthaft versuchen zu verstehen.

4.7     Aufeinander zuzugehen ist wie die Begegnung verschiedenartiger Kulturen. Wir müssen zuerst die theologische und kulturelle Sprache der anderen erlernen und verstehen. Viele religiöse Begriffe haben unterschiedliche Bedeutungen oder Bedeutungsnuancen in den verschiedenen Traditionen. Begriffe wie „Bekehrung“, „gerettet werden“, „Kirche“, „Seelsorge“, „Anbetung“, „Tradition“, „Wort Gottes“ sind ganz unterschiedlich besetzt und dementsprechend belastet. Wenn wir also diese Begriffe zur Darlegung unserer Standpunkte benützen, wollen wir ihren Inhalt für unsere Gesprächspartner ausdeuten oder mit unbelasteten Vokabeln „übersetzen“.

4.8     Wir legen die Haltung ab, etwas als „irrend“ zu verdächtigen, nur weil wir eine Lehraussage nicht sofort in ihrem Gehalt verstehen bzw. in das eigene theologische System einordnen können.

4.9     Das Prinzip des „grünen Wassers“: Wenn jemand kurz vor dem Verdursten ist, wird er auch das grünliche Wasser trinken, wenn es ihm nur Hoffnung gibt, dass es weiter geht. Er wird möglicherweise fragen, „Was ist das?“. Aber weil er die Flüssigkeit braucht, ist er bereit, auch grünliches Wasser zu trinken. Jemand ohne dieses Bedürfnis wird hundert Gründe finden, um nicht trinken zu müssen. So ist es mit uns. Nur wenn wir an der Zerrissenheit des Leibes so sehr leiden, dass wir lieber einige Unklarheiten im Miteinander in Kauf nehmen, um nur ja Schritte in Richtung Einheit weiterzukommen, dann werden wir bereit sein, so manches an „grünem Wasser“ in Sachen Theologie und Christenpraxis zu schlucken, auch wenn sich nicht alles perfekt darstellt.

Wenn wir den anderen christlichen Traditionen begegnen, wird uns vieles wie grünes Wasser vorkommen. Wir müssen Fragen stellen und sollen nicht sofort alles schlucken. Wenn wir aber ein Herz für die Einheit haben, dann werden wir bereit sein, so weit wie möglich zu gehen, um das Gemeinsame zu sehen und zu einer Einigung zu kommen. Dieses Verlangen wird auch die Art der Fragen prägen, die wir den anderen stellen: nicht vom Wunsch geleitet, unsere Distanz aufrechtzuerhalten, sondern gute Gründe zu finden, um weiterzumachen.

4.10   Wir wollen hinter dem Unverständlichen zunächst eher die Chance eines Schatzes sehen, als zuerst die Gefahr des Irrtums.