„Das wünsche ich mir von meiner Gemeinde“

„Das wünsche ich mir von meiner Gemeinde“

Was Gemeinden von ihren Pastorinnen und Pastoren erwarten (dürfen), das wird oft diskutiert. Hier und heute drehen wir die Frage um: Was erwarten Pastorinnen und Pastoren eigentlich von ihren Gemeinden? Welche Rahmenbedingungen brauchen sie? Wo sehen sie ihre Möglichkeiten und Grenzen? Hier zwei „freikirchliche Antworten“, zwei „landeskirchliche“ in der AUFATMEN 3-24, die im August erscheint.

„Fehlt dir etwas?“ „Ja, genau diese Frage.“

Anja Neu-Illg ist Pastorin in einer Baptistengemeinde. Sie wünscht sich, dabei „in ihrer Kraft zu arbeiten“. Was das für sie ganz konkret bedeutet, beschreibt sie hier.

Es war im Rahmen von einem dieser Zukunftsprozesse, dass ich aufstand und sagte: „Wir müssen als Kirche und als Gemeinden besser lernen, was es heißt, ein guter Arbeitgeber zu sein.“ Mein aktueller Gemeindeleiter fragte auf dem Heimweg: „Sind wir als Gemeinde ein guter Arbeitgeber? Fehlt dir etwas?“ Ich bin sicher, was vielen meiner Kolleginnen und Kollegen fehlt, ist genau diese Frage. Und ich kann über meine Erwartungen an Gemeinde als Arbeitgeber auch nur ganz offen schreiben, weil ich bisher zu großen Teilen bekommen habe, was ich brauchte, um in meiner Kraft zu arbeiten.

Eigentlich sind meine Erwartungen keine Erwartungen an die Gemeinde als ganze, also an alle 170 Mitglieder. Ich erwarte nicht von Oma Kasupke, dass sie sich Gedanken macht, was ich  brauche, um gut arbeiten zu können. Ich erwarte das aber von der Leitung der Gemeinde und auch von mir selbst. Sicher gibt es Dinge, die ich auch erwarten würde, wenn ich Lehrerin, Architektin oder Bäckerin geworden wäre: Fairness, Respekt, vernünftige Bezahlung, Freizeit, Bildungsmöglichkeiten, klare Absprachen und Vertrauen. Dazu gehört für mich auch, dass es regelmäßig Mitarbeitergespräche gibt, in denen Probleme und Konflikte, aber auch Wünsche und Entwicklungsmöglichkeiten angesprochen werden. Wer die Fähigkeit, Personal zu führen, nicht aus seinem Beruf mitbringt, ist als gemeindeleitende Person sicher gut beraten, hierzu einmal eine Schulung zu besuchen.

Viele Kolleginnen und Kollegen verabschieden sich aus dem Pastorendienst. Wenn wir über die Gründe sprechen, kommt darin häufig zum Ausdruck, was sie nicht mehr brauchen: „Ich will nicht jede Woche eine Diskussion über die Existenz der Hölle führen.“ „Ich will nicht ständig diskutieren, wer Zugang zur Gemeinde haben darf und wer nicht.“ „Ich möchte Konflikten nicht mehr hilflos ausgeliefert sein.“ „Ich möchte nicht mehr ständig erreichbar sein.“ „Ich will nicht mehr für alles zuständig sein.“ „Ich wünsche mir mehr Zeit für Freunde und Familie.“ „Ich habe keine Lust mehr, mich nur um das Vereinsleben zu kümmern, damit der Laden läuft.“

Der Kern der Berufung

Sicher sind nicht alle skizzierten Gründe systembedingt. In manchen Fällen könnte auch Supervision zu einer neuen, lebensförderlicheren Haltung führen. Wer sagt denn zum Beispiel wirklich, dass man immer erreichbar sein muss? Ein wiederkehrender starker Grund, um aus dem Beruf als Pastor oder Pastorin auszusteigen, ist dieser: „Jetzt kann ich endlich das tun, wozu Gott mich berufen hat.“ Das gibt mir extrem zu denken. Es sind gut ausgebildete, erfahrene Theologen, die das sagen. Und was tun sie dann nach dem Gemeinde-Ausstieg? Sie beraten Organisationen und Teams hin zu mehr Möglichkeiten, sie helfen Menschen in Krisen und Entscheidungssituationen, sie begleiten Menschen geistlich auf dem Weg in die wunderbare Freiheit der Kinder Gottes, sie bieten erlebnispädagogische Freizeiten an, sie entwerfen neue Pilgerpfade oder segnen Menschen in Schweigeretreats.

Ein unfassbar großes Potenzial geht den Gemeinden dadurch verloren, dass vielfältig ausgebildete Leute Gemeinde nicht mehr für den besten Ort halten, um ihre pastorale Berufung zu leben.  Indem sie die Gemeinde verlassen, kommen sie zum Kern ihrer Berufung zurück. Und das wird so weitergehen, wenn die Gemeindeleitungen nicht umdenken. Vor einigen Jahren rief mich ein Gemeindeleiter aus einer anderen Gemeinde an. Er wollte mich als Pastorin gewinnen und versprach mir eine größere Gemeinde, mehr Geld, bessere Ausstattung, ein größeres Team und einen Platz im Kuratorium eines Diakonievereins. Warum ich schon während des Gesprächs wusste, dass das nichts wird? Zum einen war meine Berufung in der damaligen Gemeinde noch nicht zu Ende. Zum anderen ging es in dem Gespräch null um mich, um meine Begabungen, meine Berufung, meine Vorstellungen, meine Wünsche. Der Gemeindeleiter suchte einfach irgendjemanden, der die entstandene Lücke füllen sollte.

Wer meine Motivation heute im Gemeindealltag killen will, der erörtert mit mir zusammen in epischer Breite Raumhöhen für förderungswürdigen Wohnraum, Einfallwinkel und Lichtstärke des neu zu kaufenden Beamers, §17b der Gemeindeordnung von 1987, die Nebenkostenabrechnung für Haus B und die Frage, ob die neuen Stühle grüne oder blaue Bezüge haben sollen. Gewiss muss sich um all das auch jemand kümmern. Vielleicht jemand, der sich mit sowas auskennt?

In meiner Kraft sein

Natürlich hat jeder berufstätige Mensch, also auch Pastor und Pastorin, manchmal Sachen auf dem Tisch, die nicht nahe bei dem Grund liegen, der einmal zum Ergreifen des Berufs geführt hat. Auch mir bricht kein Zacken aus der Krone, wenn ich mal die Kanzel abstaube oder einen Raum für eine Veranstaltung umräume. Aber das Uneigentliche darf nicht überhandnehmen.

Was ich brauche, um in meiner Kraft zu sein? Möglichst oft nah an meiner persönlichen Berufung zu arbeiten – im Rahmen der Berufung meiner Gemeinde. Ich spüre, wenn ich in meinem Element bin und andere auch. Ich fühle mich meiner Berufung nahe, wenn ich Menschen in Gottes Angelegenheiten verstricken kann, sei es durch strategische Gemeindeleitung, durch Kurse und Seminare, durch Predigten und Radiobeiträge, durch Einzelgespräche, durch Meditationsabende, durch kreative Events für Gäste oder durch einen Beitrag für die Homepage. Ich mag es, vielfältig unterwegs zu sein. Morgens ein Trauergespräch, mittags eine Sitzung mit dem Ökumene-Kreis, dann ein langer Spaziergang und dann eine Sitzung der Redaktion des Gemeindemagazins. Ich mag auch, montags nicht zu wissen, was am Mittwoch ist.

Im Zusammenhang von Berufungsgesprächen mit Gemeinden habe ich mir immer wieder zwei Fragen gestellt: Würde die Gemeinde auch ohne mich etwas wollen? Braucht die Gemeinde tatsächlich mich im Spektrum ihrer Gaben für ihre einzigartige Mission vor Ort? Dann stellte sich manchmal heraus: Die Gemeinde ist zwar sehr nett, sucht aber eigentlich einen Sozialarbeiter oder eine Seniorenseelsorgerin – und das bin ich nicht.

Die Mission vor Ort

Manche Gemeinden haben kein Bewusstsein für ihre konkrete Mission, für die vorhandenen Gaben und wissen daher auch nicht, wen sie als hauptamtliche Person eigentlich wirklich brauchen. Und das macht dann alle unglücklich. Da beruft man einen Musikpastor und wundert sich, dass er an Kompositionen arbeitet statt an Strategiepapieren, oder man beruft eine Netzwerkerin und stellt erstaunt fest, dass die Bibelstunde wieder zugunsten der Stadtteilkonferenz ausfällt.

Ich denke, dass diejenigen freikirchlichen Gemeinden Chancen haben, gute Hauptamtliche zu gewinnen und zu halten, die sich weniger um ihren Bestand und den Erhalt des Status quo  lümmern, als vielmehr um ihre Sendung als Gemeinde und ihre konkrete Mission vor Ort. Wen brauchen wir hier eigentlich wirklich und was braucht die Person, um gut arbeiten zu können? Die Frage zu stellen und zu beantworten wird noch wichtiger in Zeiten, wo sich viele Gemeinden nur noch Teilzeitstellen leisten können. Das Modell „Voller Einsatz bei halbem Gehalt“ hat  ausgedient. Mit der anderen Hälfte muss tatsächlich Geld verdient werden, um die Familie zu ernähren.

Gemeinden, die nur sich selbst im Sinn haben, um sich und ihren Erhalt kreisen, werden Hauptamtliche verlieren. Gemeinden, die ihrer Mission auf der Spur bleiben und ihre Begabungen und Bedarfe dafür kennen, werden Hauptamtliche gewinnen.

Anja Neu-Illg (48) ist seit 18 Jahren Pastorin in Baptistengemeinden des BEFG, zunächst in Hamburg Eimsbüttel, jetzt in Rostock. Sie ist Sprecherin für kirchliche Formate im Deutschlandfunk, Geistliche Begleiterin und Systemische Organisationsentwicklerin. Sie ist nicht auf Jobsuche.

 

Drei Wünsche

Willi Quiring ist Pastor der Freien evangelischen Gemeinde in Kiel. Er stellt sich vor, dass eine Fee ihm erscheint und ihm anbietet: Du hast drei Wünsche frei – an deine Gemeinde!

Bin ich zu 100 Prozent identifiziert mit meiner Gemeinde? Oder mache ich einfach meinen Job? Das sind die beiden Pole, zwischen denen ich und meine Kolleginnen und Kollegen arbeiten.

Vor kurzem habe ich mein Büro renoviert. Dabei habe ich eine kleine Kiste wiederentdeckt, in der ich folgende Dinge fand: eine Kassette mit einer Tonaufnahme unserer Hochzeit, Fotos, Holzkreuze, Korkenzieher und Medikamente. Eine wilde Mischung – wahrscheinlich lagen die Sachen irgendwo rum und mussten wegen eines Besuchs schnell weg. An einer Seite der Kiste klebt ein Zettel: Wunschbox.

Wofür war die? Das habe ich vergessen. Warum waren nun all diese Sachen darin? Und vor allem: Warum waren dort keine Wünsche zu finden? Vielleicht, weil es mir grundsätzlich nicht leichtfällt, Wünsche zu äußern.

Ich will es hier trotzdem angehen und eine Szene malen, in der eine gute Fee einem Pastor erscheint, um ihm drei Wünsche zu erfüllen. Eingegrenzt auf die Aufgaben als Pastor in einer Gemeinde. Also: Mitten im Alltagsgeschehen, an einem Vormittag in meinem Büro erscheint mir diese Fee und fragt danach, was ich mir von meiner Gemeinde wünsche. Nach langer Überlegung antworte ich ihr.

Mein erster Wunsch: Verständnis und Nachsicht

Kein Mensch, und damit auch keine Pastorin oder Pastor, kann alles können. Auch wenn sich Gemeinden in Ausschreibungen für diesen Job oft genau das wünschen, manchmal dies sogar erwarten.

Natürlich ist es gut, wenn Menschen in diesem Dienst Begabungen mitbringen, die einen segensreichen Dienst ermöglichen. Der größte Segen tritt ja meistens dann ein, wenn Menschen ihre Begabungen und Talente dort einsetzen, wo sie gebraucht werden, sich entwickeln und wo sie auf die entsprechenden Aufgaben treffen.

Als Gemeinde haben wir für Themenabende zu „heißen Eisen“ spezielle Verhaltensregeln entworfen. Eine lautet: Ich höre mir die Meinung der anderen an und versuche, sie zu verstehen. Sollte eigentlich ein Selbstgänger sein, hat die Gesprächskultur aber entscheidend positiv verändert.

Verstehen wollen und auch Verständnis für manche Entscheidungen und manches Verhalten zu haben, das wünsche ich mir von meiner Gemeinde. Natürlich gilt das auch für mich, so will
ich mit Menschen umgehen.

Dabei ist eine gute Fehlerkultur wichtig – wir brauchen Nachsicht miteinander, damit Fehler und auch Zweifel offen angesprochen werden können. Ohne Verständnis und Nachsicht würden sie sonst Motivation, Kreativität und Freude langfristig ersticken.

Mein zweiter Wunsch: Vertrauen und Unterstützung

Niemand kann ohne Vertrauen gut arbeiten. Auch als Pastor bin ich darauf angewiesen. Obwohl ich oft vor oder in Gruppen von Menschen arbeite, bin ich die meiste Zeit alleine. Für viele Pastorinnen und Pastoren ist diese freie Zeiteinteilung ein echter Angang. Wie gestalte ich meinen Alltag, meine eigene Spiritualität, meine Arbeit? Ohne das Vertrauen der Gemeinde, dass ich
verantwortungsvoll mit dieser Freiheit umgehe, wäre ein gesegneter Dienst schwer.

Ich brauche Vertrauen in meine Fähigkeiten, in meine Integrität und meine Hingabe zum Dienst. Dieses Vertrauen ist nicht nur wichtig für die Beziehung zwischen Pastor und Gemeinde, sondern auch für das Wachstum und die Stabilität der Gemeinde als Ganzes.

Und doch benötige ich als Pastor noch mehr als nur Vertrauen – ich brauche und wünsche mir die aktive Unterstützung meiner Gemeinde. Diese Unterstützung kann in vielerlei Formen kommen – sei es durch Gebet, Ermutigung, konstruktive Kritik, praktische Hilfe oder echtes Interesse an meiner Person.

Indem eine Gemeinde ihren Pastor aktiv so unterstützt, stärkt sie nicht nur seine Handlungsfähigkeit, sondern zeigt auch ihre Wertschätzung für seinen Dienst.

Mein letztes Wunschpaar: Mut und Offenheit

Völlig untypisch für mich, aber ich habe für dieses Jahr ein Motto: Es ist das Jahr der Demut für mich. Mein bisheriges Verständnis von Demut lautet: Ich kann immer lernen – ich weiß nicht alles. Ich kann immer etwas annehmen – ich kann nicht alles, ich habe nicht alles. Ich kann immer vertrauen – weil Gott da ist und sorgen nicht weiterhilft. So unter allen Umständen zu leben und glauben fordert mich heraus, mutig zu sein.

Ich habe mein Motto auch öffentlich vor der Gemeinde gemacht, um der Gefahr des Vergessens vorzubeugen und den eigenen Druck zu erhöhen. Diesen Mut wünsche ich mir auch von der Gemeinde. Mut, neue Wege zu gehen, alte Denkmuster zu überwinden und sich für Veränderungen zu öffnen. Dazu gehört eine Offenheit dafür, die eigenen Prägungen und Traditionen immer
wieder kritisch zu hinterfragen.

Eigentlich ist es ein dreifacher Mut: Demut, die es ermöglicht, sich gegenseitig mit Respekt und Ehrfurcht zu begegnen, Langmut, die Geduld und Ausdauer in schwierigen Zeiten fördert. Und Sanftmut, die die Herzen öffnet und eine Atmosphäre der Liebe und Freundlichkeit schafft.

Aber mehr noch: auch den Mut und die Offenheit, den Blick zu heben und die Gemeinde von morgen zu sehen. Die Menschen zu sehen, die noch gar nicht in unserer Gemeinde sind und Wege und Möglichkeiten wahrzunehmen, die sich bieten.

Ich wünsche mir die Offenheit, Neues auszuprobieren und anderes vielleicht auch wieder zu beenden. Auch mal Lücken zuzulassen und zu vertrauen, dass Gott zu seinem Ziel kommt.

Die Fee kommt nicht

Die Fee wird nicht kommen und auch wenn die Wünsche vor allem auf meine Arbeit als Pastor bezogen sind, kann ich Arbeit und Privates nicht trennen. Denn ich arbeite als ganzheitlicher Mensch, als Berufener mit meiner Persönlichkeit.

Es ist hilfreich und gut, wenn nicht nur Gemeinden in Stellenausschreibungen Erwartungen und Wünsche benennen, sondern auch die Pastorinnen und Pastoren zum Zuge kommen. So können Enttäuschungen vermieden werden und Menschen gemeinsam gesunde Gemeinden bauen.

Willi Quiering (54) ist seit 17 Jahren Pastor der Freien evangelischen Gemeinde in Kiel. Die Gemeinde hat 120 Mitglieder. Nach sehr turbulenten Jahren (Aus- und Umzug, Konflikte im Leitungskreis, Corona) erholt sich die Gemeinde am neuen Standort, fühlt sich gestärkt und beschenkt.